Ursprünge der russischen Volksmedizin
russ. народная медицина, sind in den Beschwörungen und magischen Praktiken der altertümlichen Slawen zu finden und beruhten auf dem Glauben an die geheimnisvollen Kräfte der Natur und waren – neben den einfachen rein mechanischen Mitteln – das überwiegende Werkzeug zur Heilung von körperlichen Krankheiten. Diese animistische altertümliche Gesellschaft, für die der gesamte Kosmos in einer materiellen Welt und einer geistartigen Welt existierte, zeigte sich in ihren Gottheiten der Naturkräfte, ihren Beschützern und in den Trägern des höchsten Wissens der Stämme. Letztere waren die Ältesten ihres Stammes, die auch für die Ausübung des religiösen Kultes, die Aufbewahrung der Legenden und die Rechtsprechung verantwortlich waren. Sie verfügten mit hoher Wahrscheinlichkeit auch über die Geheimnisse der ursprünglichen ärztlichen Kunst, wie das Wissen über die heilenden Eigenschaften von Pflanzen und Stoffen.
Um einen Bezug zur Volksmedizin zu bekommen
ist ein Rückblick in die Geschichte der Medizin und ein Blick auf die Terminologie nötig. Geschichtlich gesehen gibt es drei Arten von Medizin – Volksmedizin oder Volksheilkunde, traditionelle Medizin und moderne Medizin. Alle Arten haben gemeinsame Ursprünge, da sie auf uralten Traditionen gründen und das historische Erfahrungswissen vieler Menschen integrieren. Volksmedizin und traditionelle Medizin haben grundsätzliche Gemeinsamkeiten, jedoch gibt es einen wesentlichen Unterschied in der Art der Wissensübertragung – Volksmedizin ist überwiegend mündlich überliefert und traditionelle Medizin ist schriftlich fixiert.
Bis zum Ende des 18. Jahrhunderts wurde die Volksmedizin nicht von der traditionellen Medizin (Medicina gentilitia) getrennt. Am Ende des 20. Jahrhunderts – wurde die „Volksmedizin“ jedoch meist irrational verstanden, basierend auf einer darin enthaltenen Tradition der Zauberei und Magie, damit der klassischen Medizin entgegen. Daher wurden Konzepte der „Schulmedizin“ und „medizinischer Aberglaube“ häufig als Synonyme verwendet.
Die Rolle der Volksmedizin ist in Wissenschaft und Gesellschaft bis heute nicht klar definiert. Daher können wir in der täglichen Praxis oft beobachten, dass der Begriff der „Volksmedizin“, nicht mit dem Erfahrungswissen traditioneller Medizin erinnert wird, sondern verbreitet mit okkulten oder magischen Praktiken, die oft auch aus der Neuzeit stammen.
Dieses Verständnis der Volksmedizin, entspricht jedoch nicht ihrem tatsächlichen Inhalt: Als traditionelle Medizin zielt sie darauf ab, körperliche Beschwerden des Menschen zu heilen und sich dabei nicht in seine innere Welt einzumischen (siehe auch: Die traditionelle russische Medizin in der Geschichte).
Die altertümlichen Slawen
hegten auch eine Vorstellung von der Seele, die eng mit dem Reinkarnationsglauben verbunden war, wobei die Seele als eine besonders lebenswichtige Kraft angesehen wurde. Laut ihrer Auffassung besteht der Mensch aus einem Körper und mindestens einer Seele. Sie ist nicht an den Menschen gebunden, lebt auch nicht in ihm, sondern in seiner Nähe. Sie ist mit Emotionalität, Willen und Denkvermögen ausgestattet. Wenn der Mensch stirbt, dann geht die Seele von ihm wie ein kleines „Nebelchen“, weg. Über das weitere Schicksal dieser Seele existierten in der altertümlichen Gesellschaft unterschiedliche Ansichten. Ein Teil der Menschen glaubte, diese bliebe auf der Erde, um Gutes oder Böses zu schaffen, ein Teil glaubte, sie reise in den Himmel ab, um das Leben der Nachkommen zu beeinflussen. Es wurde auch angenommen, dass die sterbende Seele sich eine Bleibe in Tieren oder in Gegenständen sucht, deshalb waren viele Anwendungen in dieser Volksmedizin auch mit Tieren verbunden. Beispielsweise wurde bei Kopfschmerzen ein Welpe auf die Stirn gelegt oder bei Fieber neben dem Kranken eine Ziege angebunden.
In den animistischen Vorstellungen existierten Beschützer des Stammes, des Geschlechtes und des Hauses. Das Oberhaupt des Stammes sollte die Verbindung mit diesen Geistern halten. Als Vermittler zwischen den Menschen und den geheimnisvollen Kräften der Natur galten Wahrsager und Wahrsagerinnen, Hexer und Hexen. Sie spielten eine bedeutende Rolle in den Glaubensvorstellungen dieser altertümlichen Gesellschaft. Diese Vermittler konnten ihre Kraft sowohl zum Wohle des Menschen verwenden als auch zu seinem Schaden – um zu heilen oder zu bestrafen. Hauptsächlich wurden diese Kräfte den Frauen zugeschrieben, da ihnen die besonderen magischen Kräfte und die nahen Verbindungen zu diesen Kräften nachgesagt wurden. Die Verknüpfung von Elementen des Glaubens und der Magie mit den Heilanwendungen ist bis heute ein wesentlicher Bestandteil der russischen Volksmedizin.
Geschichtlich gesehen
traten die altertümlichen Slawen mit der Annahme des Christentums zum orthodoxen Glauben über, der über die Jahrhunderte zur Herausbildung einer eigenständigen russisch-orthodoxen Kirche führte. Der daraus resultierende Volksglaube ist sehr streng und fest. Er beeinflusst viele Lebensbereiche gläubiger Menschen. In der Praxis verwenden die Heiler aus dem Volk häufig Beschwörungen für die Behandlung dieser oder jener Erkrankung. Diese Beschwörungen sind traditionell ein fester Bestandteil der russischen Volksmedizin und werden von Generation zu Generation weitergegeben. Die Mehrheit von ihnen sind familiäre Geheimnisse. Jedes Wort hat in diesen Texten seinen festen Platz und es darf nichts ausgetauscht oder verändert werden, auch gibt es feste Zeiten für deren Anwendung.
Gewöhnlich wird die Beschwörung beim zurückgehenden Mond 3-mal mit leiser Stimme gesprochen. Manchmal blasen die Heilenden dabei auf den wunden Punkt oder spucken 3-mal über die linke Schulter. Das Anwenden von Beschwörungen unterliegt bestimmten Regeln. Jeder, der diese Sprüche liest und spricht, soll gesund sein, wenn er die Beschwörung für einen anderen Menschen durchführt. Wendet man die Beschwörung für sich selbst an, kann das Befinden von jeder Art sein.
Die Kleidung soll sauber sein. Es sollten keine Wunden auf dem Körper des Beschwörers vorhanden sein. Frauen sollen keine Menstruation haben und das Haar nicht flechten. Auf dem Körper darf kein Schmuck getragen werden, lediglich das heilige Kreuz ist erlaubt. Wenn die Beschwörung angewendet werden soll, dürfen der Anwender und auch der Kranke an diesem Tag mit anderen Menschen nicht schimpfen. Angeraten wird auch, niemandem zu erzählen, dass die Heilbehandlung mithilfe der Beschwörung bevorsteht oder vollbracht wurde. Andernfalls kann die Behandlung vergeblich sein.
Siehe auch: Anfänge der Heilung von Krankheiten durch den Menschen